Queere Mitarbeitende, die sich an ihrem Arbeitsplatz sicher fühlen, bleiben dem Unternehmen lange erhalten.
Coming-out am Arbeitsplatz: Wie Unternehmen queere Talente unterstützen und halten können
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Herr Müller bringt seinen Mann mit zum Sommerfest. Herr Schröder verkündet, künftig als Frau Schröder angesprochen werden zu wollen. Frau Yılmaz geht in Elternzeit, nachdem ihre Partnerin das gemeinsame Kind zur Welt gebracht hat. Alles ganz alltäglich? Ein Coming-out am Arbeitsplatz kann mit Hürden verbunden sein. Unternehmen und Führungskräfte haben es in der Hand, ein unterstützendes Umfeld für queere Mitarbeitende zu schaffen.
Frühe Pensionierung
Die französische Journalistin Béatrice Denaes ging mit 62 Jahren in Rente, obwohl sie ihren Beruf sehr gern ausgeübt hatte. Der Grund: Sie hatte in ihrem Geburtsgeschlecht als Mann Karriere gemacht. Nach Erkenntnis der eigenen Transidentität informierte sie ihr privates Umfeld über ihren Wunsch nach einer Vornamens- und Personenstandsänderung sowie geschlechtsangleichenden Maßnahmen, konnte sich ein Coming-out bei ihrem Arbeitgeber Radio France jedoch nicht vorstellen. Der staatliche Betreiber zahlreicher Sender verlor somit eine qualifizierte und motivierte Arbeitskraft vorzeitig.
Waren Denaes’ Bedenken unbegründet? Leider nicht. Nach ihrer Transition wurde sie als Ehemalige zu einer internen Feier eingeladen, doch einige Mitarbeiter kündigten an, ihr dort nicht begegnen zu wollen. Schließlich blieb sie selbst der Veranstaltung fern.
Problemloses Coming-out am Arbeitsplatz: noch immer keine Selbstverständlichkeit
Auch in Deutschland wäre ein solches Szenario denkbar gewesen. Laut einer aktuellen gemeinsamen Befragung von Indeed und Appinio haben 83 Prozent der Transfrauen auf der Arbeit häufig oder gelegentlich Diskriminierung erlebt. Unter allen Befragten (Personen, die sich der queeren Community zuordnen) lag der Anteil derer, die schon einmal Diskriminierung erlebt haben, bei 61 Prozent.
Wie viele queere Menschen im Berufsleben offen über ihre geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung sprechen, wollte im vergangenen Jahr das Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung IDA wissen. Der Anteil der nicht Geouteten ist mit rund zwei Dritteln bei den bisexuellen Beschäftigten besonders hoch; es folgen die Transpersonen mit mehr als 50 Prozent und dann die Schwulen und Lesben mit einem Viertel. In Bezug auf Diskriminierung am Arbeitsplatz kommt die Studie auf noch höhere Werte als die zuvor zitierte Befragung. Im Jahr 2015 gaben von 400 homosexuellen Beschäftigten 23 Prozent an, ihre sexuelle Orientierung wirke sich negativ oder eher negativ auf ihre Karriere aus.
Mit dem Diversity Management in ihrem Unternehmen war ein Drittel der Befragten von 2015 gar nicht oder eher nicht zufrieden. Dabei betont Albert Kehrer von der PROUT AT WORK-Foundation, die die Ergebnisse der Befragung des IDA veröffentlichte, die Bedeutung eines guten Diversity Managements und einer queerfreundlichen Unternehmenskultur: „Ein offener Umgang hat positive Effekte auf die Arbeitszufriedenheit, das Commitment sowie den organisationsbezogenen Selbstwert von queeren Beschäftigten.“
Kein Potenzial vergeuden
In Zeiten des Fachkräftemangels können Arbeitgeber es sich nicht leisten, (potenzielle) queere Mitarbeitende zu vergraulen. In der Studie von 2015 gab ein Viertel der Befragten an, dass das diesbezügliche Engagement von Firmen für sie bei der Jobwahl wichtig sei. Wo können Unternehmen und Führungskräfte ansetzen, die sich mit dem Thema bisher wenig auseinandergesetzt haben? Der erste Schritt besteht darin, sich genauer zu informieren. Wer sich schon seit dem Titel dieses Artikels gefragt hat, was „queer“ eigentlich genau bedeutet, findet die Erklärung dieses und anderer Begriffe im Glossar des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD). Schulungen für Allies (auch dieser Begriff findet sich im Glossar!) bietet beispielsweise die Hamburger Initiative WELCOMING OUT an.
Eine Verbindung zwischen Arbeitgebern und queeren Talenten möchte das Job- und Karrierefestival STICKS & STONES schaffen, das von dem Netzwerk Proudr veranstaltet wird. Die nächsten Chancen auf eine Teilnahme bieten sich am 8. Februar 2025 in Köln sowie am 21. Juni 2025 in Berlin. Workshops, Networking-Sessions und mehr bieten Gelegenheit zum Austausch, queerfreundliche Arbeitgeber können sich an einem Infostand präsentieren.
Zeichen setzen und Flagge zeigen
Für das Qualitätsmanagement gibt es Zertifizierungen, für Nachhaltigkeit ebenfalls – kann ein Unternehmen auch ein Siegel für seine Unterstützung von queeren Mitarbeitenden erhalten? Tatsächlich bietet der PRIDE Champion Index, der seit 2021 jährlich veröffentlicht wird, diese Möglichkeit. Betriebe aller Größen sowie öffentliche Einrichtungen können einen Fragebogen ausfüllen und erhalten sowohl schriftlich als auch in einem 60-minütigen Gespräch Feedback zu ihrer aktuellen Performance. Wer mindestens 60 Prozent der möglichen Punkte erzielt hat, ist berechtigt, das Siegel „PRIDE Champion“ zu führen. Die Kosten für die Teilnahme richten sich nach der Größe des Unternehmens.
Völlig kostenlos sind die Buttons und Downloads von WELCOMING OUT, die als Kommunikationshilfen für Einzelpersonen gedacht sind – im Berufsleben wie in anderen Bereichen. Ein Button am Jackett zeigt ebenso wie eine E-Mail-Signatur oder ein Hintergrundbild bei LinkedIn: Menschen können sich mir gegenüber angstfrei outen. Im Downloadbereich finden sich außerdem Kampagnenmotive für Instagram. Zusätzlich existieren die PATRONS OF WELCOMING OUT, ein Bündnis aus Organisationen und Unternehmen, das sich zu den Werten von WELCOMING OUT bekennt und die Bildungskampagne finanziell unterstützt.
Ebenfalls kostenlos sind eine inklusive Sprache und das Betonen der eigenen Akzeptanz unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten und Lebensweisen in der alltäglichen Kommunikation. Ein Paar auf einem Beispielbild kann auch einmal aus zwei Personen des gleichen Geschlechts bestehen. Transpersonen müssen die Möglichkeit bekommen, nach ihrem Outing ihre Signatur schnell und unkompliziert anzupassen. In größeren Unternehmen kann die Benennung einer Ansprechperson für queere Belange sinnvoll sein.
Wer ohne Angst vor negativen Folgen sein Coming-out am Arbeitsplatz haben kann, bleibt mit größerer Wahrscheinlichkeit langfristig beim gleichen Arbeitgeber, was für beide Seiten vorteilhaft ist. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, können Firmen auf zahlreichen Ebenen ansetzen.