Gerhard Richter, der „Picasso des 21. Jahrhunderts“, hat mit seinem Stilbruch die Kunst revolutioniert. Vom Fotorealismus zur Abstraktion – sein Werk fasziniert und provoziert. Trotz Rekordpreisen meidet er das Rampenlicht. Ein Porträt über den Künstler und sein einzigartiges Erbe.

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Herkunft und Ausbildung: Der Weg in die Kunst
Gerhard Richter, geboren am 9. Februar 1932 in Dresden, wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater war Lehrer, seine Mutter Buchhändlerin und Pianistin. Schon früh zeigte er Interesse an Kunst, doch der Zweite Weltkrieg und die politischen Umbrüche prägten seine Jugend. Nach einem gescheiterten ersten Bewerbungsversuch wurde er 1951 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden angenommen. Während seines Studiums wurde er mit dem Sozialistischen Realismus konfrontiert, der in der DDR als einzige anerkannte Kunstform galt. Seine Diplomarbeit, eine Wandmalerei für das Deutsche Hygienemuseum, wurde später übermalt.
Flucht aus der DDR und Neubeginn in Westdeutschland
Unzufrieden mit den Einschränkungen in der DDR, floh Gerhard Richter 1961 in den Westen. Kurz vor dem Mauerbau siedelte er nach Düsseldorf über und schrieb sich an der renommierten Kunstakademie ein. Dort wurde er von Karl-Otto Götz gefördert und fand in Sigmar Polke und Konrad Lueg Weggefährten. Gemeinsam entwickelten sie den „Kapitalistischen Realismus“, eine ironische Antwort auf den Sozialistischen Realismus. Richter begann, Fotografien als Vorlage für seine Werke zu nutzen, um sich bewusst von der emotional aufgeladenen Malerei seiner Zeitgenossen abzugrenzen.
Stilbruch als Prinzip: Vom Fotorealismus zur Abstraktion
Richters Werk ist von permanenter stilistischer Erneuerung geprägt. In den 1960er-Jahren experimentierte er mit fotorealistischen Bildern, deren Unschärfe sie wie verwischte Erinnerungen erscheinen ließ. Seine Serie „Ema (Akt auf einer Treppe)“ zeigt seine erste Frau in einer weichen, verschwommenen Darstellung. In den 1970er-Jahren wandte er sich der Abstraktion zu und begann, mit Rakeln Farbschichten auf die Leinwand aufzutragen, wodurch sich faszinierende, zufällige Strukturen ergaben. „Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung“, sagte er einmal. „Ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen.“
Der „Atlas“ und die Auseinandersetzung mit Geschichte
Seit den 1960er-Jahren führt Gerhard Richter seinen „Atlas“ – ein Archiv aus Zeitungsausschnitten, Fotografien, Skizzen und Farbstudien, das seine künstlerischen Ideen dokumentiert. Die Arbeit diente ihm als Inspirationsquelle und wurde 1997 auf der Documenta X in Kassel präsentiert.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für seine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ist der Zyklus „18. Oktober 1977“, der sich mit dem Tod der RAF-Mitglieder in Stammheim befasst. Die unscharfen Darstellungen dieser kontroversen Ereignisse werfen Fragen nach Wahrheit und Interpretation auf. Ebenso bedeutend ist sein „Birkenau-Zyklus“, eine Serie abstrakter Bilder, die auf Fotografien aus dem Konzentrationslager Auschwitz basieren.
Rekordsummen bei Auktionen
Richters Kunst ist international gefragt, seine Werke erzielen auf Auktionen Rekordsummen. 2015 wurde sein Gemälde „Abstraktes Bild (1986)“ für 41 Millionen Dollar versteigert. Trotz dieses Erfolgs bleibt Gerhard Richter bescheiden und meidet das Rampenlicht. „Die Kunstszene ist ein riesiges Theater der Armseligkeit, der Lüge, des Betrugs“, sagte er in einem Interview mit der „Zeit“.
Vermächtnis und Einfluss von Gerhard Richter
Gerhard Richter gilt als der „Picasso des 21. Jahrhunderts“. Seine Kunst hat die Malerei in die Gegenwart gerettet und neue Möglichkeiten der Darstellung erforscht. Anlässlich seines 90. Geburtstags 2022 widmete ihm die Neue Nationalgalerie in Berlin eine große Ausstellung seiner Künstlerbücher. Richter selbst hat seine aktive Malerei beendet, doch sein Werk bleibt lebendig – als eine der bedeutendsten Stimmen der modernen Kunst.