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Am Ende zählen innere Werte – rahmengenähte Schuhe und das Geheimnis ihrer Machart

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Gezeichnet von Christoph Renner für Wikipedia.

Schuhwerk erzählt viel über seinen Träger und die Dinge, die er schätzt – und rahmengenähte Schuhe gelten aus gutem Grund als lohnende Objekte der Wertschätzung.

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Die Krawatte hat als gesellschaftliches und stilistisches Distinktionsmerkmal ausgedient. Wer wissen möchte, von welcher Statur sein Gegenüber ist, muss den Blick in die ganz andere Richtung wenden, nach unten.

Rahmengenähte Schuhmachart in handeingestochener Technik. Gezeichnet von Christoph Renner für Wikipedia. Lizenziert nach Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5

Altes Handwerk mit einer guten Portion Exklusivität

Ein handgefertigter Schuh erfordert 200 und mehr Arbeitsschritte. Bis zur Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts oblag diese händische Einzelfertigung Schuhmachern und später Facharbeitern in Manufakturen. Erst ab 1830 folgte dank der Erfindung der Nähmaschine die Serienproduktion von Schuhen, die damit für breite Bevölkerungsgruppen überhaupt erst erschwinglich wurden.

Trotz maschineller Produktion und moderner Verfahren wie Anvulkanisieren, Anspritzen und Verkleben gilt bis heute eine traditionelle Fertigung als Goldstandard der Schuhmacherkunst: das Rahmennähen. Rahmengenähte Schuhe sind hinsichtlich ihres Tragekomforts (wenn sie erst einmal eingetragen sind – „broken in“, wie es im Englischen treffend heißt), ihrer Langlebigkeit, ihrer Reparaturfreundlichkeit, ihrer Wirtschaftlichkeit und ihrer Eleganz unerreicht. Umso erstaunlicher, dass rahmengenähte lediglich um die zwei Prozent aller Herrenhalbschuhe ausmachen; bei Damenschuhen sind es noch erheblich weniger. Neben ihrer handwerklichen Wertigkeit besitzen die Schuhe also Exklusivität. Kenner der Materie vermögen ihr Gegenüber mit einem einzigen Blick „untenrum“ einzuschätzen.

Woher „Rahmengenähte“ ihren Namen haben

Worin besteht die Wertigkeit der Schuhe? Zunächst setzt ihre Verarbeitung hervorragendes Material voraus: Es darf beim Nähen nicht einreißen, muss geschmeidig, doch stabil sein. Hochwertiges, chromfrei gegerbtes Leder ist die erste Wahl.

Das zweite Qualitätskriterium ist in der Konstruktion begründet, fachsprachlich in der Machart. Wie bei (fast) allen Schuhen müssen die zwei grundlegenden Komponenten Schaft, bestehend aus Vorder- und Hinterklappe, Seitenteilen, Innenfutter, Zwischenfutter et cetera und die mehrschichtige Sohle miteinander verbunden werden. Eine besondere Herausforderung, denn die Verbindung soll den Schuh bequem und elastisch halten und dennoch robust und dauerhaft sein.

Ein Widerspruch, den die rahmengenähte Fertigung bereits seit dem Spätmittelalter durch zwei gesonderte Arbeitsschritte löst. Zunächst wird die Innensohle des Schuhs, die sogenannte Brandsohle, auf der unten liegenden Seite mit dem Rand des Schafts und zugleich mit einem um den gesamten Vorderschuh laufenden, schmalen Lederstreifen vernäht. Diesem „Rahmen“ genannten Streifen verdankt das Verfahren seinen Namen.

In einem zweiten Schritt wird der Rahmen mit der eigentlichen Laufsohle durch eine weitere – diesmal sichtbare – Naht verbunden, „gedoppelt“. Bei besonders aufwendig gearbeiteten Schuhen ist die Naht auf der Unterseite der Laufsohle in der sogenannten Risslippe versenkt und somit gut gegen Verschleiß geschützt. Die Risslippe wird wieder versiegelt und ist danach nur noch als dünner Schnitt zu erkennen.

Die aufwendige Methode hat den Vorteil, dass die Brandsohle nicht durchstochen wird, von unten kann daher keine Feuchtigkeit in das Schuhinnere eindringen. Die Verbindung zwischen Brandsohle und Laufsohle weist eine gewisse Flexibilität auf, beide können sich beim Abrollen des Fußes gegeneinander verschieben. Schließlich ist, sollten die Laufsohle oder die Doppelnaht irgendwann defekt sein, ihr Austausch beziehungsweise die Erneuerung möglich.

Ursprünglich wurde das Rahmennähen mit Ahle, Nadeln und Zwirn ausschließlich in Handarbeit ausgeführt. Das bieten heute nur noch Maßschuhmacher an. Aktueller Fertigungsstandard ist das 1872 vom US-Amerikaner Charles Goodyear Junior patentierte und nach ihm benannte „Goodyear welt“-Verfahren. Dabei wird der ursprünglich auf der Unterseite der Brandsohle mit dem Schustermesser herausgearbeitete Einstechdamm durch ein Gemband aus Leinen ersetzt, das einige Millimeter parallel zur Sohlenkante aufgeklebt wird. Mit Spezialnähmaschinen werden Schaft, Gemband und der Rahmen in einer waagerechten Naht per Kettenstich rund um den Schuh vernäht.

„Goodyear welt“ oder „Goodyear welted“ hat das Rahmennähen mechanisiert und beschleunigt. Benötigt ein geübter Schuhmacher für das Einstechen des Rahmens und das Doppeln der Sohle von Hand jeweils etwa anderthalb Stunden, verrichtet eine Nähmaschine diese Arbeit in Minutenschnelle. Die Vorzüge des rahmengenähten Schuhs bleiben jedoch erhalten.

Wer schön sein will, muss kurz leiden

Diese Vorzüge betreffen vor allem den Tragekomfort. Der lässt allerdings etwas auf sich warten. Wer schon ein Paar neue „Rahmengenähte“ getragen hat, weiß, wie steif und unbequem sie zunächst sind. Mit jedem Schritt aber werden sie geschmeidiger und passen sich den Füßen an. Leder schmiegt sich wie kein anderes Material Konturen an und gibt nach, wo Platzbedarf ist. Beim „Einlaufen“ wird es dann genau dort weicher, wo es der überaus komplexe, individuelle Bewegungsablauf des Fußes erfordert. Gleichzeitig schützen eingearbeitete Verstärkungen wie Vorder- und Fersenkappe vor Stößen.

Als Dämpfung wird der durch den Rahmen entstehende Hohlraum zwischen Brand- und Laufsohle im vorderen Schuhteil mit Korkmasse ausgeballt, in die jeder Träger mit der Zeit sein individuelles Fußbett einprägt. Im hinteren Teil des Schuhs verhindert die Gelenkfeder, eine schmale Leiste aus Ahornholz oder Stahl, das Durchtreten der Sohle im schmalen Teil vor dem Absatz.

Die Kombination aus zwei dicken Ledersohlen und Kork hat einen weiteren großen Vorteil: Rahmengenähte Schuhe isolieren hervorragend, nicht nur gegen Feuchtigkeit, sondern auch gegen Kälte von unten. Zugleich weisen sie keine Sperre aus Kunststoff oder Klebstoff auf, die die Hautatmung behindert. Im Gegenteil ist das Leder von Futter, Schaft, Brand- und Laufsohle luftdurchlässig und nimmt sogar Feuchtigkeit auf. Obwohl sich auf der Fußsohle besonders viele Schweißporen befinden, bleiben die Füße in rahmengenähten Schuhen angenehm trocken. Für Menschen mit „Problemfüßen“ eine Wohltat; für alle anderen ein Luxus, den sie nie wieder missen möchten.

Rahmengenähtes Schuhwerk ist außerdem in mehrfacher Hinsicht langlebig: Anders als bei der marktbeherrschenden geklebten Massenware löst sich bei ihnen die Laufsohle nicht ab. Selbstverständlich verschleißt sie im Lauf der Zeit. Die Schuhspitze und die Außenkante des Absatz sind besonders beansprucht und müssen regelmäßig kontrolliert werden. Ein guter Schuhmacher wird sie gegen schmales Geld wieder aufbauen. Und sollten die Sohle und die Naht derart „durch“ sein, das Kosmetik nicht hilft, wird er beides vom Rahmen lösen und eine neue Sohle vernähen – der liebgewonnene Schuh bleibt davon unberührt. „Laufzeiten“ von fünfzehn Jahren und länger sind daher durchaus normal. Die höheren Anschaffungskosten im Vergleich zu 08/15-Tretern erweisen sich langfristig als gute Investition.

Zumal rahmengenähte Schuhe immer schöner werden. Denn ihre Langlebigkeit bezieht sich keineswegs nur auf die Funktion, sondern auch auf die Optik. Nicht ohne Grund beherrschen zeitlose, von Trends unberührte Modelle – Oxford, Derby, Monk, Loafer in Schwarz oder Brauntönen – das Angebot. Mit etwas Zuneigung und Pflege entwickeln diese Klassiker eine charakteristische Patina – durch Gehfalten, Schrammen, Macken. Anders als bei Sneakern zum Beispiel, die schnell schäbig aussehen, mindert das Altern die Eleganz der Rahmengenähten nicht, sondern erzählt von der Wertschätzung ihres Trägers.

Schuhcreme wird überbewertet

Diese Wertschätzung erfordert ein eigenes Kapitel. Zur Pflege rahmengenähter Schuhe daher an dieser Stelle nur ein paar Stichpunkte:

  • Schuhspanner sind ein Muss, immer. Bitte aus unbehandeltem Holz und einstellbar – zu hohe Spannung beult die Ferse aus.
  • Den Schuhen nach jedem Tragen mindestens einen Tag Pause gönnen, um die Feuchtigkeit auslüften zu lassen.
  • Schmutz sofort wegbürsten, vor allem aus der Fuge zwischen Rahmen und Schaft.
  • Einsalben wird überbewertet. Schuhe brauchen gelegentlich Creme für Pflege und Farberhalt sowie Wachs für den Glanz, doch keineswegs in der häufigen Frequenz, die vielerorts empfohlen wird.
  • Wenn cremen, dann sparsam. Unbedingt aber, wenn man in einen Regenguss gekommen ist. Die Schuhe auf Spanner abseits der Heizung trocknen lassen, dann bürsten und cremen.
  • Bei Schneematsch in der Stadt: Gummistiefel anziehen oder barfuß gehen. Streusalz ist verheerend für Lederschuhe.

Wer detaillierter in die Geheimnisse des Rahmennähens einsteigen möchte, dem sei der kenntnisreiche, anschaulich bebilderte Band „Herrenschuhe handgearbeitet“ (ISBN: 9783848003693) empfohlen. Darin beschreiben der berühmte Budapester Schuhmacher László Vass und Ko-Autorin Magda Molnar alle Aspekte der handwerklichen Schuhmacherkunst – von der Auswahl der Buchenstämme für die Leisten bis zum Finish per Wasserpolitur.

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