Die Chemieindustrie gehört zu den größten und wichtigsten Wirtschaftszweigen Deutschlands. Mit über einer halben Million Arbeitsplätzen und unzähligen Verbindungen zu anderen Industrien, wie dem Automobilbau oder der Pharmaindustrie, ist sie ein zentraler Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Am Freitag kündigte der Branchenverband VCI (Verband der Chemischen Industrie) nun an, dass man nach einem eher düsteren 2024 auch für das kommende Jahr mit stagnierenden Aufträgen und Umsätzen rechne.
Chemieanlagen nicht ausgelastet
Für 2025 erwartet der VCI kaum eine Erholung in der Branche. Die Produktion könnte laut Prognosen um lediglich 0,5 Prozent wachsen – ein Wert, der wenig Anlass zur Hoffnung gibt. Seit 2018 ist die Produktionsmenge der chemisch-pharmazeutischen Industrie um 16 Prozent geschrumpft.
Besonders alarmierend: Viele Unternehmen arbeiten mit einer zu niedrigen Auslastung ihrer Produktionsanlagen. Der aktuelle Wert von 75 Prozent liegt deutlich unter dem rentablen Niveau und das bereits seit vier Jahren in Folge. Erste Anlagen wurden bereits stillgelegt, und weitere könnten folgen. Wie VCI-Präsident Markus Steilemann dabei betont: Einmal geschlossene Anlagen kommen selten zurück.
Die Zahlen des aktuellen Jahres kommentierte Steilemann folgendermaßen: „Es ist eine trübe Bestandsaufnahme … Der einzige Lichtblick ist, dass sich die rasante Talfahrt der letzten beiden Jahre nicht weiter fortgesetzt hat.“ Laut VCI dürfte der Branchenumsatz in 2024 um zwei Prozent auf rund 221 Milliarden Euro sinken.
Die größten Herausforderungen
Die Chemieindustrie in Deutschland kämpft mit mehreren Problemen gleichzeitig:
- Hohe Energiepreise: Als energieintensive Branche ist die Chemieindustrie besonders von steigenden Energiekosten betroffen. Im internationalen Vergleich sind die Preise für Strom und Gas in Deutschland deutlich höher als in anderen Ländern, was die Wettbewerbsfähigkeit einschränkt.
- Bürokratie und Genehmigungsverfahren: Unternehmen berichten von quälend langen Genehmigungsverfahren, die oft Jahre dauern. Hinzu kommen zahlreiche Regulierungen und statistische Vorgaben, die den Betrieb weiter verkomplizieren.
- Sinkende Nachfrage: Die schwächelnde Konjunktur in Deutschland und Europa trifft die Chemiebranche. Es fehlt an Aufträgen, während die Verkaufspreise weiter sinken.
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Reaktionen der Unternehmen: Einsparungen und Verlagerung
Viele große Player der deutschen Chemieindustrie reagieren bereits mit drastischen Maßnahmen.
- Der Chemieriese BASF hat angekündigt, Fabriken am Hauptsitz in Ludwigshafen zu schließen. Das Herzstück der Produktion wird verkleinert, und viele Anlagen werden entweder geschlossen oder umgebaut.
- Evonik plant einen Unternehmensumbau, der zum Abbau von bis zu 7.000 Arbeitsplätzen führen könnte, auch in Führungspositionen – das wäre mehr als ein Fünftel der Belegschaft. Außerdem werden Geschäftsfelder restrukturiert und zum Teil verkauft.
- Verlagerung ins Ausland: Fast jedes vierte befragte VCI-Chemieunternehmen verlegt Teile seiner Produktion ins Ausland, vorzugsweise nach Nordamerika oder Asien, wo die Bedingungen günstiger sind. Außerdem stocken knapp die Hälfte aller VCI-Mitgliedsfirmen ihre Investitionen im Ausland auf.
Diese Entwicklungen gefährden nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Innovationskraft und den Produktionsstandort der deutschen Chemieindustrie.
Forderungen der Branche
Um die Krise zu bewältigen, fordert der VCI einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag. Besonders dringlich seien folgende Maßnahmen:
- Ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis: Die Energiepreise müssen gesenkt werden, um die Produktionskosten zu verringern.
- Bürokratieabbau: Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt und Regulierungen reduziert werden.
- Ausgaben priorisieren: Die Bundesregierung solle nicht in den Bereichen Infrastruktur, Sicherheit und Bildung sparen. Zudem sei eine Unternehmenssteuerreform mit Absenkung der Steuerlast notwendig.
Blick in die Zukunft
Fast die Hälfte der befragten Unternehmen erwartet laut einer Mitgliederbefragung aktuell eine Verschlechterung der Ertragslage. Zudem geht der VCI davon aus, dass auch im kommenden Jahr weitere Anlagen geschlossen und Arbeitsplätze abgebaut werden. Dazu kommt, dass der Branchenverband eine Studie bei der Boston Consulting Group in Auftrag gab, laut der die deutsche Chemie ihre Produktivität je nach Bereich um 10-30 % steigern muss, um international wettbewerbsfähiger zu werden.
Langfristig bleibt die Frage, ob Deutschland als Industriestandort attraktiv bleibt. Ohne gezielte Reformen droht die Chemieindustrie weiter an Bedeutung zu verlieren – mit weitreichenden Folgen für die gesamte Wirtschaft.