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Jil Sander – ein Porträt über die „Queen of Less“

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Jil Sander

picture alliance / Boris Roessler/dpa | Boris Roessler

Jil Sander hat mit ihren subtilen Designs nicht nur die internationale Modewelt revolutioniert, sondern auch ein Vermögen aufgebaut.

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Jil Sander, die als Heidemarie Jiline Sander am 27. November 1943 in Hedwigenkoog geboren wurde, hat sich über Jahrzehnte hinweg als eine der prägenden Designerinnen der internationalen Modewelt etabliert. Ihr Name steht für konsequenten Minimalismus, hochwertige Materialien und puristische Schnitte. Nicht umsonst gilt sie vielen als „Königin des Weglassens“ oder “Queen of Less”, die mit nüchternen Farbtönen und klarer Linienführung Stilgeschichte schrieb.

Frühe Prägung und Ausbildung

Sander verbrachte ihre Kindheit im Norden Deutschlands, wo sie früh ein Faible für funktionale, sachliche Ästhetik entwickelte. Nach der Schule zog es sie zunächst in die USA, was in den 1960er-Jahren für eine junge Frau noch als ungewöhnlich galt. Ihre Rückkehr nach Europa führte sie schließlich an die Textilfachschule in Krefeld, wo sie im Bereich Textiltechnik und Design studierte. Dieses Studium sollte ihr ein tiefes Verständnis für Materialien und Fertigungstechniken vermitteln – eine Expertise, die später zum Fundament ihrer Entwürfe wurde.

Stille Revolution: erste Schritte in Hamburg

Im Alter von 24 Jahren eröffnete Jil Sander in Hamburg ihre erste Boutique. Während viele junge Designerinnen zu dieser Zeit nach Paris oder Mailand strebten, blieb sie in Deutschland und fertigte hier ihre ersten Kollektionen, angetrieben von dem Wunsch, eine klare, moderne Mode zu schaffen, die ohne überflüssige Dekors auskommt. Ihre Entwürfe zeichneten sich durch eine reduzierte Farbpalette aus, häufig geprägt von Weiß, Grau, Schwarz oder Blau, und einer zeitlosen Silhouette, die dem Körper schmeichelt, ohne sich aufzudrängen.

In einer Modebranche, die sich bis in die 1970er-Jahre hinein eher an opulenten Details und Ornamenten orientierte, wirkte Sanders Purismus wie eine stille Revolution. Die hohe Qualität ihrer Stoffe wurde zu einem Markenzeichen. Damit legte sie die Grundlage für ihre spätere internationale Bekanntheit: Frauen und Männer mit Sinn für Understatement und Perfektion im Schnitt fanden in ihren Kollektionen eine Alternative zu den lauten Designs der Zeit.

Aufstieg Jil Sanders zur „Queen of Less“

Der internationale Durchbruch kam in den 1980er-Jahren. Damals gewann die Designerin nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und Japan an Renommee. Ihre klar konturierte Mode, oft in neutralen Tönen gehalten, fand bei einer globalen Klientel Anklang, die sich nach diskretem Luxus sehnte. Die Presse huldigte ihr spätestens ab den 1990er-Jahren als „Queen of Less“. Diese Bezeichnung unterstrich das, was sie als gestalterisches Credo in die Modewelt einbrachte: Weglassen statt Hinzufügen.

In dieser Phase entwickelte Sander ihr Label zu einem international tätigen Konzern weiter. 1989 ging die Jil Sander AG an die Börse – ein Schritt, der in Deutschland für ein Modeunternehmen selten war und große Beachtung fand. Durch frisches Kapital konnte sie ihre Kollektionen weiterentwickeln und in neue Märkte expandieren.

Wechselhafte Zeiten mit dem eigenen Label

Trotz des Erfolgs blieb die Zusammenarbeit mit großen Konzernen nicht konfliktfrei. Ende der 1990er-Jahre erwarb die Prada Group die Mehrheitsanteile an ihrem Unternehmen. Diese Kooperation führte jedoch mehrfach zu kreativen Differenzen. Sander verließ ihre Firma – kehrte zurück – ging erneut. Die Presse verfolgte ihre Rücktritte und Wiederauftritte in unregelmäßigen Abständen, die jeweils von Auseinandersetzungen über kreativen Spielraum und Markenstrategie geprägt waren.

Parallel arbeiteten Modehäuser auf der ganzen Welt unter dem wachsenden Einfluss neuer Trends, etwa durch das Erstarken jugendlicher Streetwear-Labels und einer schnelllebigen Fast-Fashion-Kultur. Jil Sander hielt jedoch an ihrem ursprünglichen Stil fest: perfekt verarbeitete Basics, exzellente Materialien und schnörkellose Eleganz. Diese Geradlinigkeit machte sie nicht nur zum Vorbild für zahlreiche Minimalismus-Designer, sondern auch zum Maßstab für zeitlose Mode.

2013 erfolgte ihr letztes Ausscheiden aus dem gleichnamigen Label. Obgleich sie sich mit 70 Jahren aus dem Tagesgeschäft zurückzog, blieb ihre Ästhetik prägend für den Markenkern. Nicht nur im kreativen Bereich war Jil Sander erfolgreich, sondern auch im finanziellen. Das Vermögen der Hamburgerin wurde im Jahr 2024 auf beachtliche 150 Millionen Euro geschätzt. Doch beruflicher Erfolg ist für sie nicht alles. „Erfolg ist schön, aber viel wichtiger ist, dass man eine Arbeit hat, die einem Freude macht ”, wie sie in einem ihrer seltenen Interviews betont hat.

Jil Sanders Einfluss auf die globale Modeszene

In der rückblickenden Betrachtung erweist sich Jil Sander als Pionierin, deren Philosophie des „Weniger ist mehr“ in vielen zeitgenössischen Kollektionen nachhallt. Ob in den Chefetagen großer Konzerne oder auf den Laufstegen in Paris und Mailand – ihre Entwürfe haben das Bewusstsein für Modernität, Funktionalität und subtile Raffinesse in der Mode gestärkt. Dazu kommt ihr Verdienst, eine neue Generation von Power Suits für Frauen etabliert zu haben, die sich selbstbewusst in traditionell von Männern dominierten Geschäftsumfeldern behaupten wollten.

Auch abseits ihrer eigenen Kollektionen ist Sanders Einfluss auf die Entwicklung der Branche spürbar. Ihre Zusammenarbeit mit japanischen Firmen wie Uniqlo, wo sie zeitweise beratend tätig war, zeigte, dass ihr Minimalismus universell einsetzbar ist: modische Exzellenz muss kein Luxusprodukt bleiben, sondern kann einer breiteren Kundschaft zugänglich gemacht werden – sofern Schnitt und Materialqualität stimmen.

Zeitlose Eleganz und die Kunst des Weglassens

Jil Sander hat in über vier Jahrzehnten ein Modeverständnis geprägt, das auf Klarheit, Eleganz und Zurückhaltung beruht. Sie personifiziert die Idee, dass Mode einerseits Ausdruck von Individualität, andererseits aber auch Gebrauchsgegenstand sein kann. Ihr Erfolg fußt maßgeblich auf dem Prinzip der konsequenten Reduktion, an das sie sich immer hielt – selbst in Zeiten rasanten Wandels. So bleibt sie bis heute nicht nur eine der großen deutschen Designerinnen, sondern auch ein weltweites Synonym für anspruchsvollen Minimalismus, der den Glamour im Unspektakulären findet.

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