Dem Rückgrat droht der Bandscheibenvorfall
Kleine Unternehmen und der Mittelstand (KMU) sind das buchstäbliche Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland. 99 Prozent aller Firmen zählten 2021 zu den KMU, wovon die überwiegende Mehrheit, rund 95 Prozent, Familienunternehmen sind.
Diese familiengeführten Firmen sind, nicht anders als große Konzerne, aktuell mit grundlegenden Veränderungen konfrontiert. Exemplarisch genannt sei das Aufkommen disruptiver Technologien, etwa Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain-Anwendungen oder Automatisierungs-Software. Sie transformieren Geschäftsmodelle, Management-Anforderungen, Arbeitsorganisation und vieles mehr.
Eine andere Herausforderung für Familienunternehmen und den gesamten Mittelstand ist die Forderung nach Nachhaltigkeit. Sie betrifft keineswegs "nur" den schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen, sondern auch den verantwortungsvollen Umgang mit Mitarbeitenden, Partnern, Kund:innen und dem wirtschaftlichen Zustand einer Firma.
Ein Aspekt, die Governance-Kompetenz, also die Befähigung zur guten Unternehmensführung, betrifft vor allem Firmen, deren Eigentum und Management innerhalb von Familien liegen. Einer aktuellen Studie zufolge profitieren Familienunternehmen davon weniger stark als andere Betriebe. Die Autoren vermuten, dass ihr Forschungsergebnis auf Phänomene wie Vetternwirtschaft, Probleme mit der Unternehmensnachfolge, Interessengruppen mit unterschiedlichem Fokus und Familienkonflikte zurückzuführen ist.
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Wissenschaft und Praxis gehen Hand in Hand
Entstanden ist die erwähnte Studie am Bildungscampus Heilbronn, an dem seit Herbst 2018 die renommierte Technische Universität München (TUM) vertreten ist. Sie bietet dort über 720 Studierenden mit zwei Bachelor- und drei Masterstudiengängen sowie Weiterbildungen für Unternehmensmitarbeitende ein vielfältiges Angebot, wobei ein Schwerpunkt auf Management liegt.
Die interdisziplinären Forschungsprojekte am TUM Campus Heilbronn sind überwiegend praxisbezogen. Lehrende und Studierende analysieren die Strukturen und Strategien der regionalen Unternehmen, insbesondere von Mittelstands- und Familienunternehmen. Direkt am Markt werden so pragmatische Erkenntnisse gewonnen, wie Unternehmen wachsen, was ihre Innovationstreiber sind, wie sie Trends begegnen können und was ihnen langfristig Wettbewerbsfähigkeit sichert.
Die Region Heilbronn-Franken ist der optimale Standort für Studierende, die die Hintergründe der Wirtschaft auf Basis akademischer Grundlagen, doch praxisnah erkunden wollen. Denn zahlreiche prosperierende Firmen haben sich in der unmittelbaren Umgebung angesiedelt, von vielversprechenden Start-ups über etablierte Hidden Champions bis hin zu Weltmarktführern. Das ist keineswegs übertrieben: Von Heilbronn-Franken aus haben sich etliche Tech-Unternehmen, Maschinenbauer, Ingenieurbüros, Informations- und Kommunikationsfirmen ihren Status als namhafte Global Player erarbeitet.
Erforschung von Technologie und Innovation in Familienunternehmen und Mittelstand
Da in der näheren Umgebung des Campus unzählige erfolgreiche eigentümergeführte Firmen beheimatet sind, wurde an der TUM Heilbronn eigens ein gesondertes Institut zur Lehre und Forschung über Familienunternehmen gegründet, das Global Center for Family Enterprise (GCFE).
Am GCFE wird seither konkret erforscht, wie sich betriebswirtschaftlich bewährte Konzepte möglichst effizient auf Familienunternehmen abbilden lassen – unter Berücksichtigung der oben skizzierten besonderen Begleitumstände. Mit Fokus auf die drei Forschungsschwerpunkte "Nachhaltigkeit", "Neue Technologien und Innovation" sowie "Strategie und Governance" werden aus verschiedenen Perspektiven die bestehenden Strukturen von Familienunternehmen analysiert. Interdisziplinär einbezogen sind dabei auch Fachrichtungen wie Psychologie, Soziologie und Recht.
Aus den Forschungsergebnissen lassen sich Rückschlüsse auf ungenutzte Chancen ziehen. Die Nachhaltigkeitsuntersuchungen des GCFE legen nahe, wie Familienunternehmen langfristige Wertsteigerung für ihre Eigentümer und Stakeholder erzielen: durch verantwortungsvolle Corporate-Governance-Strukturen, Innovation, Geschlechtergleichstellung sowie regelmäßige Schulung der kognitiven Fähigkeiten ihres "Humankapitals", also der Belegschaft.
Wenn Familienunternehmen ihre bewährten Kompetenzen, Strukturen und Prozesse an neue Technologien anpassen, führt das idealerweise zu schnelleren, präziseren Entscheidungen auf Managementebene und zur effizienten Interaktion zwischen Mensch, Maschine und Künstlicher Intelligenz. Die Forschung am GCFE liefert praxisnahe Erkenntnisse, wie dieses Potenzial am besten zu nutzen ist.
Die spezifischen Governance-Schwierigkeiten von Familienunternehmen sind ein weiteres Thema. Eigentumsverhältnisse, Eigentümerkompetenz, Unternehmens- und Vertragsführung sowie Vertragsverhandlungen können laut der GCFE-Forschung durchaus strategisch eingesetzt werden, um Wettbewerbsvorteile und einen effektiven Ressourceneinsatz zu erreichen.