Industrie, Wettbewerbsvorteile durch nachhaltige Unternehmensstrategie

No more Greenwashing: Spieltheorie als Gamechanger für effiziente Nachhaltigkeitsstrategien

Bild zum Artikel Welche Branchen sehen Sie da besonders gefährdet?

Dr. Sebastian Moritz

Wettbewerbsvorteile durch nachhaltige Unternehmensstrategie: Wie wichtig ist für Unternehmen der CO2-Footprint wirklich? Eine Antwort aus ökonomischer Sicht gibt Sebastian Moritz, Geschäftsführer von TWS Partners, zu "grünen Produkten" und nachhaltigen Lieferketten.
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Herr Moritz, lassen Sie uns über Nachhaltigkeit reden. Ist Green ein echter Wettbewerbsvorteil?

Definitiv ja. Sehen Sie sich an, wie viele Unternehmen in Wasserstoff-Technologie investieren, aber auch, wie viel Geld fließt, um allein den Carbon Footprint von Firmen zu bemessen. Um das Thema Nachhaltigkeit werden ganze Geschäftsmodelle gebaut! Aber die zentrale Frage ist für mich: Gehen wir tatsächlich weiter als bislang und auch verbindlicher vor als lediglich Hochglanz-Broschüren zu schreiben und öffentliche Statements zu verkünden? Die Schlüsselfrage ist, ob uns Green wirklich wichtig ist und wir die Unternehmensstrategie auch darauf ausrichten.

Wie sehen Sie denn die deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich aufgestellt?

Es gibt eine relative und eine absolute Antwort. Relativ sind wir in Europa mit Sicherheit Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Es gibt wenige Länder, die ihre CO2-Handelssysteme so weit aufgebaut haben wie wir. Im weltweiten Vergleich sowieso. Da lächeln die Amerikaner manchmal über den Atlantik rüber und sagen: "Ihr Europäer mit eurem Wertesystem." Wir versuchen ja gerne, auch moralisch vorwegzumarschieren, um ein Beispiel zu setzen. Aber absolut gesehen finde ich es immer noch relativ enttäuschend, wo wir stehen. Ich kenne kaum ein Unternehmen, das nicht in irgendeiner Form öffentlich behauptet hat: "Wir haben eine Net-Zero-Roadmap. Wir haben einen klaren Plan, wie wir Grün werden." Wenn man aber hinter die Fassaden schaut, dann ist vieles davon tatsächlich noch ein Lippenbekenntnis. Und das ist enttäuschend. Die zentrale Frage ist die nach der Zahlungsbereitschaft: Was ist mir Nachhaltigkeit als Unternehmen wirklich wert? Und nicht, wie viel Druck macht gerade eine Regierung auf dieses Thema.

Das heißt, Sie sehen noch viel "Greenwashing"?

Absolut, ja. Ich stelle meinen Kunden, die oftmals die CEOs der Unternehmen sind, immer eine Frage: "Zeig mir die Person in deinem Unternehmen, die persönlich für Nachhaltigkeit geradesteht und die garantiert, dass das Ziel, das öffentlich kommuniziert wird, auch eingehalten wird." Was wir brauchen, sind Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit. Es reicht eben nicht, nur den Carbon Footprint zu bestimmen und Daten zu sammeln. Das ist lediglich ein notwendiger Schritt zur Transparenz. Die CEOs müssen ihre Organisation, ihre Lieferketten auch tatsächlich dazu incentivieren, ihre Nachhaltigkeits-Ziele zu erreichen. Und das sehe ich im Moment noch zu wenig.

Wenn Sie versuchen, die Unternehmen für dieses Thema zu sensibilisieren, dann zeichnen Sie wahrscheinlich auch die Risiken auf, die sich aus diesem Greenwashing ergeben können.

Das Risiko ist ja relativ klar. Denken Sie an den CO2-Handel, CO2 ist eine neue Währung geworden. Und zwar eine, die im Moment auch in der energieintensiven Industrie wie etwa dem Baugewerbe oder im Verkehrssektor relativ billig ist. Aber die Zertifikate, die die EU ausgibt, werden verknappt. Das bedeutet ökonomisch, dass der Preis für diese Zertifikate zu einem bestimmten Zeitpunkt gegen unendlich geht. Deshalb bringt es mir überhaupt nichts, wenn ich 2025 merke, dass ich mit meiner Strategie gegen die Wand gefahren bin, weil ich plötzlich feststelle, dass ich mir das nicht mehr leisten kann, was mir extern aufgezwungen wird, da CO2 plötzlich so teuer wird. Heißt übersetzt: Jedes Unternehmen sollte antizipieren, wie die strukturellen Weichen gestellt und echte Wettbewerbsvorteile realisiert werden müssen. Und zwar auch in Bezug auf seine Lieferketten, seine Partner, seine Mitarbeiter. Sonst ist ein Crash unausweichlich.

Welche Branchen sehen Sie da besonders gefährdet?

Im Prinzip das gesamte verarbeitende und produzierende Gewerbe. Nehmen Sie etwa den Transport-Sektor. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass hier jedes agierende Unternehmen im Moment sagt, wir setzen auf Elektro- oder Wasserstoff-Fahrzeuge in unserer Roadmap, die wir im Jahr 2027 oder 2030 in unsere Flotte nehmen wollen. Wenn ich jetzt diese ganzen Pläne aufsummiere und einen Forecast rechne, wie viele Fahrzeuge in diesem Markt zu diesem Zeitpunkt verfügbar sein werden, dann ergibt dies zwangsläufig ein massives Missverhältnis. In Zukunft wird also eine enorme Nachfrage auf ein viel zu geringes Angebot treffen. Das führt dazu, dass die Preise explodieren. So verteuern sich am Ende die CO2-Zuteilungen. Und das trifft natürlich alle Unternehmen, die nicht von heute auf morgen umstellen können, nämlich die Bauindustrie, das produzierende Gewerbe, die Automobilindustrie.

Das hört sich an, als ob wir uns da auf einen Riesen-Crash zubewegen.

Ich glaube, es wird ein ganz brutales Erwachen geben, wenn alle Marktteilnehmer am Ende merken, dass der CO2-Preis höher ist als wir annehmen. Und vor allem, dass auch die Lösungen, die gebraucht werden, nicht in dem Umfang zur Verfügung stehen, wie sie nötig wären.

Sie sagten, dass die Deutschen dennoch Vorreiter auf dem Gebiet sind. Bezieht sich Ihr Crash-Szenario auf Europa oder sehr stark auf den deutschen Markt?

Das Kuriose aus meiner Sicht: Wir haben uns selbst die Handschellen angelegt. Damit meine ich als Spieltheoretiker, wir haben uns selbst verpflichtet, diese Ziele – auch in einem europäischen Handelssystem – einzuhalten. Aber: Ein Unternehmen kann sich es nicht leisten, in unterschiedlichen Märkten mit unterschiedlichen Standards unterwegs zu sein. Etwa in Europa nur Elektroautos zu verkaufen und gleichzeitig die Produktionslinien für Benzinfahrzeuge in USA aufrechtzuerhalten, nur weil die Amerikaner vielleicht noch zehn Jahre länger für die Transformation brauchen werden. Das heißt, man setzt oft strategisch den höchsten Standard an, der regulatorisch erfüllt werden muss, und die anderen Märkte bekommen diese Produkte automatisch einfach mitgeliefert. Das hat mit Komplexitätsmanagement zu tun und auch mit Investitionskosten, die gestemmt werden müssen. Auch die Automobilhersteller in Deutschland haben sich nicht ohne weiteres von den Benzinern verabschiedet und früher auf Elektrofahrzeuge umgestellt als ursprünglich geplant. Keiner kann beide Technologien durch alle internationalen Märkte aufrechterhalten! Südamerika, Afrika, Asien, oder Nordamerika bräuchten den Standard gar nicht so schnell, wie wir ihn eigentlich haben wollen. Aber auch die Entwicklung ist getrieben durch den europäischen Markt und durch China – und die anderen fahren im Fahrwasser einfach mit.

Solche Interdependenzen gibt es auch beim Lieferkettengesetz. Wo stehen hier die Unternehmen?

Da herrscht eine Menge Frustration. Zum einen ist es ein gigantischer bürokratischer Aufwand, auf den die Unternehmen nicht vorbereitet sind. Ähnlich wie bei den CO2-Reduktionen wird "nett fragen" nicht ausreichen, um die Ziele zu erfüllen. Und hier wären wir dann wieder bei der Spieltheorie: Unternehmen können natürlich definieren, nach welchen Kriterien und Maßstäben sie Partner heute, mittelfristig und in Zukunft wählen werden. Man kann diese Mechanismen festlegen und transparent kommunizieren. Ein einfaches Beispiel: Wenn mein Lieferant keine Transparenz geben kann, woher seine Vorprodukte kommen, dann ist das heute vielleicht noch nicht so schlimm. Aber 2025 wird es plötzlich ein Go- oder No-Go-Kriterium. Es ist nicht notwendig, jetzt schon den ganzen Weg zu gehen, aber Unternehmen müssen heute die Systeme bauen, über die Preismechanismen Anreize für die Lieferanten setzen, um sie steuern zu können. Das ist, wie beim CO2-Preis, auch beim Lieferkettengesetz das A und O.

Angenommen, ich habe ein Unternehmen mit einer großartigen grünen Idee, etwa im Bereich Wasserstoff. Wie würde mir TWS da helfen, wie könnten Sie mich da am besten auf die Schiene stellen?

Zunächst einmal beschäftigt sich die Spieltheorie damit, Anreize zu setzen und Strukturen zu schaffen, sodass die Teilnehmer in einer Interaktion in einem Unternehmen oder zwischen Marktteilnehmern bestmöglich zusammenarbeiten. Und das ist in erster Linie agnostisch in Bezug auf die Industrie oder den Themenkomplex. Bleiben wir beim Wasserstoff: Wasserstoff-Unternehmen bestehen meistens aus mehreren Partnern. Sie bilden Konsortien, müssen dafür sorgen, dass die Teilnehmer ihres Konsortiums die jeweiligen Interessen gemeinschaftlich einbringen, um das Bestmögliche für das Konsortium oder ein Joint Venture zu erreichen. Das ist nicht natürlich. Wir wissen alle aus unserem privaten und beruflichen Leben, dass jeder Mensch seine eigenen Interessen hat, die nicht immer identisch mit dem des Gegenübers sind. Und da kommen wir zu der Frage, wie man sich bestmöglich aufstellt, dass alle im Unternehmen beziehungsweise Konsortium an einem Strang ziehen. Es bestehen aber auch andere Probleme, etwa, wie preise ich dann etwas in Märkten an, in denen es keinen echten Marktplatz gibt. Beispiel: Wenn Sie ein Auto verkaufen oder Stahl kaufen wollen, dann gibt es dafür jeweils Marktplätze. Als Privatperson nutze ich etwa Autoscout, für den Stahl etwa in London die London Metal-Exchange. Es gibt aber beispielsweise keinen Marktplatz für grünes Kerosin, den Fluggesellschaften bräuchten. Dann muss ich mir natürlich die Frage stellen, wie bildet sich hier ein Marktpreis, der sich vernünftig abbilden lässt. Das sind Fragen, die sich mit der spieltheoretischen Methodik analysieren lassen.

Das heißt, die Bandbreite Ihres Leistungsportfolios fängt bei Marktanalysen an und reicht bis hin zu fertig ausgearbeiteten Strategien?

Ja, genau. Unsere Kunden beauftragen uns in der Regel für zwei Szenarien. Die erste Situation ist die, wie man sich in einem vorgegebenen Rahmen bestmöglich verhalten sollte. Zum Beispiel haben die Bundesregierung oder die Europäische Union das Ziel auf ihrer Agenda, das Thema Wasserstoff zu forcieren. Dann ist die Frage: Was ist meine beste Strategie dazu, was sollte ich an geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen antizipieren, was werden Konkurrenten in diesem Markt tun, welche neuen Spieler könnten Gamechanger sein? Das ist tatsächlich "Play The Game". Also die Frage, wie ich mich bestmöglich verhalten soll in einem vorgegebenen Rahmen, den ich jetzt nicht ohne weiteres verändern kann. Und der zweite Themenkomplex beschäftigt sich damit, wie man die Rahmenbedingungen bestmöglich beeinflussen kann. Wenn Sie zum Beispiel zum großen Teil die Regeln in einem Markt mitbestimmen können, dann ist natürlich die Frage, wie man diese Regeln so strukturieren kann, dass sich dieser Markt eher vorteilhaft für Sie darstellt als für jemanden anderen. Beispiele für solche Märkte sind etwa das Verteidigungsgebiet oder die zivile Luftfahrt in Deutschland.

Haben Sie da vielleicht ein konkretes Beispiel aus der Vergangenheit, was man gut nachvollziehen kann?

Vielleicht hilft hier der Blick auf das Gesundheitssystem. Wir waren für England beauftragt, zu überlegen, wie man Märkte, für zum Beispiel die Ausrottung einer Krankheit, etwa Hepatitis C, strukturieren sollte. Oder für den pharmazeutischen Bereich, wo es darum geht, wie neue Produkte im Markt zu platzieren sind, zu welchen Konditionen und unter welchen Bedingungen. Wo gehe ich bewusst nicht rein, um keinen künstlichen Wettbewerbsdruck mit Wettbewerbern zu erzeugen? Das sind alles Themenkomplexe, die jeden Einzelnen von uns täglich betreffen.

Zurück zu Green und Greenwashing: Fällt Ihnen ein Unternehmen ein, das wirklich nachhaltig durch Greenwashing geschädigt wurde? Oder ist man nach kurzer Zeit wieder bei "business as usual"?

Leider letzteres, weil es keine wirklich harten Konsequenzen gibt. Selbst ein Shitstorm der Konsumenten ebbt in der Regel schnell wieder ab. Wir erleben gerade trotz des brutalen Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine, dass viele Firmen noch mit Russland Geschäfte machen. Wir erleben die Schädigung der Natur durch Unternehmen, aber die Welt ist zu sehr im Krisenmodus, als dass die Öffentlichkeit hier lange hinsieht. Letztlich wird es eine monetäre Frage sein, wenn Unternehmen nicht mehr in bestimmten Märkten operieren können, weil sie mit nicht-grünen Produkten nicht mehr in diesem Markt agieren dürfen. Oder CO2-Zertifikate kaufen müssen, die ihre Produkte doppelt so teuer machen wie vorher. Dann wird es für Unternehmen existenzbedrohlich, insbesondere im globalen Kontext. Dann wird die Frage relevant, ob nachhaltig Schäden entstehen. Bislang kenne ich kein Unternehmen, das in den Konkurs getrieben wurde, nur weil es Greenwashing betrieben hat.

Wie sehen sie sich im weiten Feld der Unternehmensberater positioniert? Wo ist der größte Unterschied zwischen spieltheoretischen Ansätzen und einem klassischen Beratungsansatz mit einem Nachhaltigkeitsfokus?

Wir stehen nicht in Konkurrenz, wir sind komplementär. Zunächst braucht man Transparenz in den Lieferketten und im eigenen Footprint. Das ist eine absolute Notwendigkeit, aber eben nur der erste Schritt. Darüber hinaus gibt es so viele Themen, bei denen Märkte tatsächlich nur reagieren, wenn man bereit ist, zu investieren. Wenn ich sage, ich möchte das gleiche Produkt, das heute green ist, zum selben Preis wie früher, dann wird die Antwort vom Großteil der Player im Markt einfach "nein" lauten. Das heißt, wenn ich nicht signalisiere, dass ich eine Zahlungsbereitschaft habe, dann wird keiner mitgehen. Da sind wir dann tatsächlich wieder in der ökonomischen Strategieberatung, in der es darum geht, Anreize zu schaffen und Markt- und Preismechanismen zu bauen. Hier ist TWS in seiner Strategiekompetenz ein gefragter Partner.

Das heißt, Transparenz zu schaffen, den Schritt weiterzugehen und zu fragen, wie baue ich einen Markt, in dem ich auch zukünftig Erfolg habe, darin liegt Ihre Strategie-Kompetenz?

Genauso ist es. Für uns geht es nicht darum, Transparenz zu schaffen oder den Markt neu zu definieren. Es ist notwendigerweise beides.

Dr. Sebastian Moritz, Geschäftsführer von TWS Partners, promovierte nach seinem Studium der angewandten Spieltheorie in Deutschland und Kanada im Bereich Supply Chain Management. Als Experte begleitet er weltweit und branchenübergreifend Unternehmen und Führungskräfte in strategischen Verhandlungen, bei der Ausgestaltung von Anreizsystemen, Transformationsprozessen und Nachhaltigkeitsinitiativen. Als Spieltheoretiker gilt seine Leidenschaft dabei dem Neudenken von Lösungsansätzen. Von ihm begleitete Projekte wurden aufgrund ihres innovativen Charakters und der erzielten Erfolge mehrfach mit renommierten Preisen ausgezeichnet.
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