Eigentlich gäbe es kaum einen Grund zur Klage: Der deutschen Wirtschaft geht es immer noch mehr als gut. Das Ifo-Institut prognostiziert für das laufende Jahr ein Konjunkturwachstum von 1,4 Prozent, eine signifikante Steigerung zu den 0,4 Prozent des Vorjahres. Dies werde sich auch positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken, die Zahl der Erwerbslosen werde um 230.000 Personen von 6,9 auf 6,8 Prozent sinken, so das Institut.
Erstmals seit 1969 will der Bund 2015 keine neuen Schulden aufnehmen. Einziger Negativpunkt: Wegen der anhaltenden Exportkraft Deutschlands wird sich der Leistungsbilanzüberschuss von 7,0 auf 7,3 Prozent erhöhen – wodurch Deutschland unter Umständen ein Mahnverfahren der EU-Kommission droht.
Derzeit ist die Bundesrepublik noch treibende Wirtschaftskraft der Eurozone und auf den ersten Blick weit entfernt von Ländern wie Frankreich, die mit anhaltender wirtschaftlicher Stagnation, hohen Schulden und einer steigenden Arbeitslosenquote zu kämpfen haben. Dennoch sehen viele Experten die Lage weit weniger rosig. Besonders die Entscheidungen zum Mindestlohn und der Rente mit 63 werden als Hauptgründe genannt, warum der Bundesrepublik in den kommenden Jahren schwierige Zeiten bevorstehen könnten.
Lange wurde der Mindestlohn von 8,50 Euro diskutiert. Nun kommt er tatsächlich, wird sich aber – so die Meinung verschiedener Wirtschaftsexperten – eher negativ als positiv auswirken. Bis zu 900.000 Arbeitsplätze sieht beispielsweise Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut gefährdet. Besonders ALGII-Aufstocker, die durch den Mindestlohn eigentlich entlastet werden sollten, seien einem hohen Risiko des Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt. Wirtschaftswissenschaftler Börsch-Supan sieht jugendliche Arbeitssuchende ebenfalls gefährdet und fordert daher eine Anhebung der Mindestlohn-Altersgrenze von 18 auf 25 Jahre.
Ebenfalls negativ würde sich die Rente mit 63 auf die Wirtschaft auswirken. Börsch-Supan geht davon aus, dass bis zu 250.000 Stellen betroffen wären. Dieser plötzliche Wegfall an Fachkräften könnte von Unternehmen nur schwer aufgefangen werden und dadurch letztlich die positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ausbremsen.
Insgesamt kritisieren Wirtschaftsexperten, dass die Bundesregierung die Reformerfolge der Agenda 2010 verspiele. Die derzeitigen Entwicklungen führten dazu, dass die hart erarbeiteten Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen EU-Ländern verloren gingen – und man auf dem besten Weg sei, das Schicksal Frankreichs zu teilen, das als „Sorgenkind Europas“ gilt.
(Bildquelle:Â Cezary Piwowarski/commons.wikimedia.org)